Rechtliche Auswirkungen des Coronavirus in Deutschland
Rechtliche Auswirkungen des Coronavirus
Rechtlich stellt sich ob der Lieferausfälle aus China die Frage, wer in welchem Umfang für die eingetretene Unmöglichkeit der Leistung haftet, wenn deutsche oder europäische Unternehmen ihrerseits ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Vertragspartnern nicht mehr nachkommen können.
Die chinesischen Behörden haben für die chinesischen Unternehmen eine Vielzahl an „Force Majeure Certificates“ ausgestellt, die von der chinesischen Rechtsprechung sehr weitreichend als Nachweis anerkannt werden, dass aufgrund höherer Gewalt ein Vertrag nicht eingehalten werden musste und ggf. auch eine Haftung des chinesischen Unternehmens entfällt.
Wenn der Vertrag mit dem chinesischen Zulieferer aber nicht nach chinesischem Recht geschlossen ist, sind die internationalen Rechtsordnungen nicht so schnell bereit, diese Zertifikate ohne Weiteres zu akzeptieren. In der Kommentierung zu den nach SARS geführten Rechtsstreitigkeiten wird dieser Unterschied mehrfach betont, denn diese Zertifikate waren auch seinerzeit ausgestellt worden. Die Beobachter der Lage in China bestätigen, dass eine Vielzahl dieser Zertifikate von Unternehmen in China angefordert und wohl auch gewährt werden. Sie sind letztlich auch ein politisches Instrument, mit dem gerade chinesische Unternehmen vor unerwünschten Haftungsfolgen geschützt werden sollen.
Bei den Verträgen nach anglo-amerikanischem oder internationalem Recht kommt es für die aktuelle Situation auch stark darauf an, ob eine Epidemie oder Pandemie in die Liste der „Force Majeure-Events“ im Vertrag aufgenommen wurde. Dies ist in vielen, aber längst nicht allen Verträgen der Fall! Die Definitionen in den Verträgen sind nicht zwingend abschließend, aber wenn mehrere „übliche“ Force Majeure-Risiken in der Auflistung fehlen, kann argumentiert werden, dass diese absichtlich nicht erfasst wurden. Ob also ein Schadensersatzanspruch gegen den chinesischen Zulieferer besteht, wird sich anhand der konkreten Verträge entscheiden müssen. Dabei kommt es eben gerade auch stark darauf an, nach welchem Recht der Vertrag zu behandeln ist.
Für die innerdeutschen Vertragspflichten, die überwiegend nach deutschem Recht entschieden werden, kommt das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 BGB zum Tragen. Der Verkäufer kann darauf verweisen, dass er keine Ware hat, und es ihm daher nicht möglich ist, den Vertrag zu erfüllen. Dann wird er von der Leistungspflicht befreit, kann aber auch die Gegenleistung (Bezahlung) nicht fordern. Sollte die Bezahlung schon erfolgt sein, muss diese zurück gewährt werden. Der Verweis auf § 275 BGB löst aber Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kunden aus, es sei denn, der Verkäufer kann nachweisen, dass ihn kein Verschulden für die Unmöglichkeit trifft.
Hierbei ist die vertragliche Risikoverteilung ganz zentral.
Ist die Ware auf dem Markt prinzipiell noch verfügbar, die Preise aber stark gestiegen, kann der Verkäufer bei einem vereinbarten Fixpreis auf der Differenz sitzen bleiben bzw. diesen Unterschied dem Kunden als Schadensersatz nach § 280 BGB schulden, wenn er zur Lieferung nicht in der Lage ist. Denn in dem Ausmaß, in dem der Preis steigt, steigt regelmäßig auch das Interesse des Kunden, die Ware auch zu erhalten. In Entscheidungen in Krisenzeiten (Reichsgericht in Zeiten der Inflation nach dem 1. Weltkrieg) wurde allerdings auch die wirtschaftliche Unmöglichkeit bejaht, wenn der Beschaffungspreis eine sogenannte „Opfergrenze“ überschritten hatte. Diese Rechtsprechung wurde zugunsten des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (nun in § 313 BGB kodifiziert) aber aufgegeben (Lorenz in: BeckOK BGB, 53. Edition, 1.2.2020, § 275 Rn. 33)
Die Preisgefahr wird in der deutschen Rechtsprechung, wenn keine Preisanpassungsklauseln in Verträgen vorgesehen werden, regelmäßig dem Verkäufer zugeordnet (Lorenz in: BeckOK BGB, 53. Edition, 1.2.2020, § 313 Rn. 20) . Gerade in der aktuellen globalen Krisenlage ist es aber möglich, dass die schwankenden Preise zu einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB führen können, was eine Anpassung des Vertrages eröffnen kann, auch wenn es keine vertraglich vereinbarte Preisanpassungsklausel gibt.
Je nachdem, wie stark die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden, ist es auch nicht auszuschließen, dass die Gerichte plötzlich doch unerwartet großzügig sind, was die Annahme von unverschuldeter Höherer Gewalt angeht. Historische Präzedenzfälle, in denen sehr umfassend Höhere Gewalt angenommen wurde, sind insbesondere die Weltkriege und die mit Ihnen direkt verknüpften wirtschaftlichen Extremsituationen. Auch die Inflationskrise Deutschlands zum Beginn der 1920er-Jahre und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 haben ebenfalls die Gerichte häufiger zur Annahme von Höherer Gewalt gebracht. Wenn die Corona-Pandemie einen so umfassenden, und nicht nur zeitlich stark begrenzten Umfang erreicht, dass ähnlich schwerwiegende Folgen wie bei einem Weltkriegsgeschehen eintreten, ist vollkommen offen, ob nicht auch die „frühen“ Phasen von der maximalen Schwere des Ereignisses profitieren. Wenn es „nur“ beim aktuellen Niveau (Stand 18. März 2020) der wirtschaftlichen Unannehmlichkeiten bliebe, ist davon auszugehen, dass die Gerichte zurückhaltend wie eh und je bezüglich der Annahme Höherer Gewalt sind. Wenn aber die Opferzahlen der Krankheit signifikant ansteigen und aufgrund der Schutzmaßnahmen vor und direkten Auswirkungen der Krankheit weltweit das Wirtschaftsleben zum Erliegen kommt, ggf. über Monate hinweg, wird die Beurteilung im Nachhinein eine ganz andere sein, auch für die Anfangsphasen.
Wenn im Vertrag mit dem Zulieferer ein Fall Höherer Gewalt bejaht wird, ist es wahrscheinlicher, dass auch im Verhältnis zum eigenen Kunden eine Vertragsanpassung erreicht werden kann. Gerade ob der oftmals auseinanderfallenden Gerichtsbarkeit (internationale Verträge vor einem Schiedsgericht, innerdeutsche Verträge vor einem staatlichen deutschen Gericht) ist es aber immer möglich, dass die Gerichte keine Rücksicht auf die Entscheidungen der anderen Gerichte nehmen.
Ist die Ware von einem Ausfuhrverbot erfasst oder darf aktuell in Deutschland nicht gehandelt werden, so ist es erheblich einfacher, Höhere Gewalt bzw. Unmöglichkeit geltend zu machen, die vom Verkäufer nicht zu vertreten ist und für die er daher nicht haften muss. Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind nichtig, dies erfasst auch Einfuhr- oder Ausfuhrverbote und sowieso inländische Handelsverbote (siehe Nichtigkeit aller Verträge im Drogenhandel). So bleibt es dann lediglich dabei, dass eventuell schon erhaltene Zahlungen an den Kunden zurückzugewähren sind, bzw. die Zahlung für die unmögliche Lieferung der Ware dann nicht vereinnahmt werden kann. Bestand das Verbot schon bei Vertragsschluss, sind vorvertragliche Schadensersatzpflichten denkbar, weil insofern ggf. Pflichten zur Aufklärung o.ä. verletzt wurden.
Sollte eine Beschaffungsschuld übernommen worden sein, so ist die Haftung umso größer, das heißt, es ist ggf. auch genau zu prüfen, welche Vertragspflicht tatsächlich geschuldet war. Wenn bei internationalen Lieferverträgen eine Beschaffungsschuld vereinbart wurde, dann kann die Einwendung von Unmöglichkeit erheblich erschwert sein (Lorenz in: BeckOK BGB, 53. Edition, 1.2.2020, § 275 Rn. 51).
Die Schadensersatzforderungen und ggf. hierzu angestrengte Prozesse werden überwiegend erst im Nachgang der Krisensituation voll zum Tragen kommen. Es ist daher nun wichtig, ordentlich zu dokumentieren, welche Lieferungen aus welchen Gründen nicht zu den Kunden gelangt sind. Verträge können zudem immer angepasst werden, wenn beide Parteien zustimmen. Eine transparente Kommunikation mit Kunden unter Verweis auf die globale Lage kann hilfreich sein, teure Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.